8. Frei ist die See, frei ist der Mensch

8. Frei ist die See, frei ist der Mensch

Der Kaperkrieg
Die Zeichen standen auf Expansion: Im 14. Jahrhundert griffen die mecklenburgischen Herzöge nach der Macht im Ostseeraum. Albrecht III eroberte 1364 den schwedischen Königsthron, sein Bruder Heinrich III heiratete die älteste Tochter des dänischen Königs. Der doch Plan ging schief, denn die zweitälteste Tochter Margarete zog die Fäden der Machtpolitik noch raffinierter – und sollte später die Herrscherin über Norwegen, Schweden und Dänemark werden.

Um die Dänen zu schwächen, griffen die Mecklenburger nach einer damals durchaus üblichen Kriegstaktik: Kaperkrieg. Die Piraten wurden zu Söldnern. Die Hauptleute der ersten großen Seeräuber-Generation in der Ostsee stammten nachweislich aus mecklenburgischen Adelsfamilien. Um die heimischen Truppen zu stützen, öffneten die Hansestädte Wismar und Rostock ihre Häfen für die Piraten – und handelten wohl auch mit Raubgut, obwohl Hehlerei bei Todesstrafe verboten war.

Der legendäre Klaus Störtebeker
Die zeitgenössischen Quellen sind spärlich. Ein gewisser Klaus Störtebeker ist in den Annalen der Stadt Wismar nur mit einer Randnotiz belegt, im Jahr 1380. Später avancierte er zum berühmtesten Seeräuber seiner Zeit. Ob Klaus Störtebeker tatsächlich aus Wismar stammte, kann nicht zweifelsfrei bewiesen werden. Manche Forscher behaupten sogar, es habe ihn nie gegeben. In der Legende aber wird er zur Ikone der Freiheit und der Gerechtigkeit. Der Schriftsteller Klabund setzt ihm im frühen 20. Jahrhundert ein fabulöses Denkmal:

Frei ist die See, frei ist die Erde, frei ist der Mensch!

„Am Mastbaum stand Störtebecker, den Degen in der rechten, die rote Fahne in der linken Hand. Vom Hals tropfte über das schwarze Halstuch Blut.

Sita schrie:
‚Likedeeler! Likedeeler! Ihr Gleichmacher! Der Tod wird euch alle gleichmachen! Und wird es gleich machen! Ihr Stromer! Vom Strom des Lebens rettungslos in das wüste Meer getrieben! Ihr Stürmer! mit denen der Sturm spielt! Du wirst nicht mehr den Becher stürzen, Becherstürzer, Störtebecker, und das Blut deiner Feinde saufen, du Blutsäufer! Wo ist dein riesiger goldener Pokal? Ich will dein Blut auffangen und in der Marienkirche in Hamburg zum entsetzlichen Gedächtnis aufstellen, daß Zehntausende das Kreuz davor schlagen, wenn der Teufel es wieder zum Wallen bringt.‘

Dröhnend lachte Störtebecker:
‚Mädchen, Mädchen! Jungfrau oder Hure: wer du seist: Dieses Blut ist unsterblich! Ewig wird es in den Venen der Menschheit rasen. Es ist das Blut, das Luzifer den Engeln abzapfte, ehe er sich von ihnen wandte. Und solch ein Engel scheinst auch du zu sein, du Blasse, Bleichsüchtige! Es ist das Blut des Gottestrotzes, es rann in Prometheus' Adern, als er den Göttern das Feuer stahl, um es den Menschen zu bringen. Es ist das Blut, mit dem meine rote Fahne getränkt ist: denn diese Fahne habe ich getränkt mit dem Blut meiner Brüder, die gefallen sind, damit auferstehe eine ehrliche, kühne, wahre Menschheit. Ich komme als Hüterin des heiligen weißen Grals –
Der Gral: das ist der Goldschatz der reichen Hamburger, erpreßt aus dem Blut der dienenden Sklaven und Knechte. Ihr schreit Gral und Gott: und meint Gold und Prozente.‘

Da hob sie die Keule und schlug sie ihm auf die Stirn, daß er zusammenklappte. Aber im Fallen noch stieß er ihr den Degen von unten in die Brust.

Sie sanken wie in einer Umarmung zusammen.
Klabund: Störtebecker. Manesse Verlag Zürich1994

© Corinna Hesse, Silberfuchs-Verlag, Tüschow/MV 2014, Nachdruck nur mit Genehmigung der Verfasserin,
Kontakt: corinna.hesse@silberfuchs-verlag.de

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Illustration: Bettina Schulz